... Betreuung und Struktur im Alltag: Winfried M. spielt begeistert auf seiner Gitarre. Es geht ihm gut im kleinen Rückzugsraum, alleine oder (wie auf dem Foto als "Alleinunterhalter" für Handwerker). Auf die Gruppe und deren Aktivitäten hat er gerade keine Lust. Vielleicht bringt er sich später wieder ein.
„Die Rückzugsmöglichkeit ist wichtig“, weiß Martina Voigt, „es ist niemand gezwungen, an den Gruppenaktionen teilzunehmen, und wir können damit auch im Falle eines Falles auf Konflikte schnell, deeskalierend und individuell reagieren.“
T-ENE-Teilnehmer Winfried M. und die übrigen Gruppenmitglieder sind gesetzte Damen und Herren im Rentenalter. Alle haben ein Arbeitsleben in den Moritzberg-Werkstätten hinter sich. Zum Teil aber auch in einem ausgelagerten Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt. Jetzt also Ruhestand. Aktiver Ruhestand. Zeit nur absitzen ist nicht die Sache der aktuell 18 Rentnerinnen und Rentner mit vorrangig geistiger Beeinträchtigung. Dafür sorgen Martina Voigt und ihr Team. T-ENE kürzt sich die Einrichtung der Lebenshilfe Nürnberger Land zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ab, die dafür sorgt, dass der Alltag der Betreuten Struktur bekommt. Durch Unterstützung in allen Lebensbereichen, erfüllende Erlebnisse, zwischenmenschliche Beziehungen und den Erhalt von Würde und Autonomie. Winfried etwa hat sich an diesem Morgen völlig selbstbestimmt und ohne Groll aus der Gruppe zurückgezogen, um seinem Hobby zu frönen.
Während Rentner Winfried M. lieber musiziert, werkelt und bastelt Peter Z. und weitere Renterkollegen gerne. Die Senioren-Werkbank konnte mit Unterstützung der Stiftung angeschafft werden.
Beim gemeinsamen Frühstück war der musikbegeisterte Senior wie jeden Morgen selbstverständlich mit dabei. Beim Eindecken und Einrichten des leckeren Frühstücksbuffets und später beim Aufräumen wird jede Hand gebraucht. Der Start für die morgendliche Mahlzeit, ein verbindendes Ritual, ist wie im Hotel flexibel: Ab 7.45 Uhr kann es losgehen. Das muss auch so sein, denn nicht alle Senioren schlafen in der angrenzenden Wohnstätte am Bitterbach. Einige kommen mit dem Fahrdienst aus Altdorf, Einzelne aus der eigenen Familie. Nach dem Frühstück ist vor der Aktivität. Darf es Bewegung in Form von Spaziergängen und/oder Seniorengymnastik sein? Lässt man der Kreativität freien Lauf oder trainiert beim Lieder-Raten und Sprichwörter-Ergänzen das Gedächtnis?
„In der großen Gruppe am Frühstückstisch entscheidet sich jeder für seine ganz persönliche Lieblingsaktivität“, erklärt TENE-Leiterin Martina Voigt. Die findet dann in einem überschaubaren Rahmen mit jeweils vier bis sechs Personen statt. „Mitmachen darf jeder, mitmachen muss keiner.“ Zum Beispiel beim feinmotorisch anspruchsvollen Gestalten mit Modelliermasse, vom kinderfaustgroßen dekorativ-stacheligen Igel bis hin zum zarten Pflanzenrelief. Derweil geht im Stockwerk drüber zu schwungvollen Klängen die Post ab.
Sitztanz ist da angesagt, mit Tüchern und tellergroßen leuchtend grünen Kunststoffringen in den Händen. Geschult werden Gleichgewicht, Körperspannung und -koordination, Aufstehen ist ausdrücklich erlaubt. Kein Wunder, dass die Ruheständler ordentlich ins Schwitzen kommen. Besinnliches steht ebenfalls auf dem Programm. Wenn etwa kleine Holzschiffe gebastelt werden, deren Segel mit guten Gedanken an Verstorbene beschriftet und auf dem Stöpperbach in Aspertshofen zu Wasser gelassen werden.
Die Senioren-Eingliederungshilfe ist 2012 gestartet. „Menschen mit Behinderung werden heute deutlich älter, da war das Schaffen eines Angebots zur Unterstützung beim Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand, zur Begleitung des Alterungsprozesses und zur Hilfestellung beim Erhalt von Fähigkeiten und Fertigkeiten unabdingbar“, erinnert sich Martina Voigt. „Damals hatten wir vier Senioren, die von einer Fachkraft betreut wurden. Heute sind wir insgesamt fünf Mitarbeiter inklusive des sozialpädagogischen Fachdienstes, der für Beratung, aber auch für Krisenintervention zuständig ist.“ Eines der zentralen Anliegen war von Anfang an, dass die aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und ihre vorhandenen sozialen Beziehungen weiterhin pflegen können. Neben dem gemeinschaftlichen Miteinander und den genannten Eigenaktivitäten steht auch Selbstversorgung auf der Tagesordnung. Jeden Donnerstag kommt zur Mittagessenszeit um 12 Uhr Selbstgekochtes auf den Tisch, Speiseplan und Einkaufszettel werden gemeinsam drei Tage vorher geschrieben.
Zwischen 13 und 14 Uhr ist jeden Tag Zeit zum Relaxen eingeplant, wer Lust und Laune hat, nimmt anschließend eines der kleinen Beschäftigungsangebote wahr. Geschichten vorlesen zum Beispiel oder Texte in Leichter Sprache aus dem Internet. Um 15.45 Uhr heißt es dann wie jeden Tag: „Servus, bis morgen!“
Zu den Highlights im T-ENE Jahr zählen Tagesausflüge, die nur aufgrund gerne angenommener Spenden realisierbar sind. Das Hofbräuhaus in München sowie die Augsburger Puppenkiste hat man schon besucht, und an die Erlebnisschifffahrt auf dem Brombachsee erinnern sich alle, als wäre es gestern gewesen. So wie an den Besuch von Drehorgelspieler Martin Michl in Begleitung von IceTigers-Maskottchen Pucki zum Tanz in den Mai. Da legte selbst Winfried seine Gitarre zur Seite.
Ein Beitrag im Rahmen der Serie 24-Stunden n-land, Uwe Studtrucker
T-ENE der Lebenshilfe Nürnberger Land steht für Tagesstruktur für Senioren nach dem Erwerbsleben