Lackmustest für den Landkreis

Auch wenn bei der Klausurtagung der Lebenshilfe die Auswirkungen globaler wie regionaler Krisenherde weiter das Hauptthema waren, die Führungskräfte des Sozialunternehmens schreiten mit klarer Vision und nachhaltigen Zielen in die Zukunft.

 

Lebenshilfe stellt sich neuen Herausforderungen nach Klausur

Die Führungskräfte der landkreisweit insgesamt 24 Einrichtungen der Lebenshilfe im Nürnberger Land trafen sich zur Klausur mit ehrenamtlichen Vorständen und der Geschäftsleitung. Bei der dreitägigen Tagung im Berchtesgadener Land gab es wiederholt keine Zeit zum Verschnaufen, denn während der “perfekte Sturm” aus Krieg, Inflation und Klimakrise im vermeintlich ruhigen Auge verharrt, setzt der Fachkräftemangel nicht nur dem Dienst um Menschen mit Behinderung zu, sondern mit Orkanstärke der gesamten sozialen Branche.

Während sich die Moritzberg-Werkstätten mehr denn je mit Angeboten um die Selbstverwirklichung für Menschen mit Handicap innerhalb des Arbeitslebens öffnen, bedeutet das Fernbleiben qualifizierter Bewerber ein Umdenken in den Wohnangeboten: Der steigenden Zahl von zu belegenden wie angefragten Plätzen von Wohnheim, Wohnstätten, Wohngruppen und Appartements im gesamten Landkreis steht keine steigende Beschäftigtenzahl gegenüber – so der Bericht aus den meisten Einrichtungen. Was bundesweit demografisch schon lange prophezeit wird und in Ländern mit noch höherem Durchschnittsalter auf der Tagesordnung steht (man denke an Japan), hat leider branchentypisch insbesondere Auswirkungen auf das soziale Engagement.

Wertschätzung und Qualifizierung als Schlüssel

In der Chemie bezeichnet der Begriff Lackmustest einen Test des pH-Werts einer Substanz mit Hilfe des Farbstoffs Lackmus. Gäbe es diesen wissenschaftlich gebräuchlichen Test für eine ganze Gesellschaft, er wäre vor allen anderen an den Schwächsten der Gesellschaft tiefrot abzulesen: “Wir haben die Pandemie mit hohem Personaleinsatz und Engagement für unsere Betreuten gut überstanden, [...] aber wir hoffen auf mehr Bewerber im Bereich der Pflege und mehr ehrenamtliche Helferinnen und Helfer”. Die Fachbereichsleiterin Wohnen, Hanne Hauck, mahnte damit insbesondere die Politik zu mehr Fokus und spürbarer Aufwertung von pflegenden und pädagogischen Berufen in der Region. Denn selbst die krisensicheren, wie überdurchschnittlich gut bezahlten Arbeitsplätze und Aufstiegschancen bei der Lebenshilfe sind dafür mittlerweile kein Garant mehr. Mit Aktionen um das Motto “Mehr als ein Arbeitsplatz” möchte die Lebenshilfe heuer als attraktiver wie offener Arbeitgeber dieser Herausforderung begegnen.

Werden wir bald aufgrund des Fachkräftemangels zu viel Arbeit haben oder wegen Künstlicher Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung langfristig zu wenig Arbeit? Mit einer Melange aus wagemutigem Fortschritt mithilfe lokaler Unternehmen und Beratungsangeboten zur Qualifizierung trotz gesundheitlicher Einschränkungen, denkt Werkstattleiter Jürgen Schmitt voraus: “Ziel der Lebenshilfe ist es, Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen [...] und jeden einzelnen Menschen bei der Verwirklichung seiner persönlichen Ziele zu unterstützen.” Mit der Eröffnung einer neuen Berufsberatungsstelle im Erdgeschoss der Frühförderung an der Hersbrucker Straße in Lauf wird diesem Anspruch offensiv entgegnet. Denn während der “normale” Schul-, Ausbildungs- und Arbeitsweg meist wie gezeichnet wirkt, gibt es insbesondere bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung noch viele Hürden, Schleifen und Umwege, die es zu überwinden gilt. Erst recht, wenn man an die gesellschaftlich stets steigenden Voraussetzungen denkt und damit auch die wachsende Zahl an aus dem ersten Arbeitsmarkt aussteigenden, psychisch überforderten Beschäftigten.

Bedürfnisse rechtzeitig erkennen

Umgekehrt stiegen und steigen weiterhin die Ansprüche an die Kleinsten, denn viele Kinder wurden durch die Pandemie stark belastet. Insbesondere psychosoziale Folgen müssen überwunden werden, “das zeigten die stark gestiegenen Zahlen der Neuanmeldungen”, so Michaela Dorschky, stellvertretende Einrichtungsleiterin der Interdisziplinären Frühförderstelle in Lauf. Dazu steigen seit Jahren die Fälle von Kleinkindern mit Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten im Vergleich zu Fällen mit intellektuellem oder motorisch bedingtem Förderbedarf. Dies wurde von der Frühförderung rechtzeitig erkannt und bereits im vergangenen Jahr durch die Eröffnung einer Zweigstelle in Hersbruck begegnet.

Auch verschrieben hat sich die Lebenshilfe dem Ziel “Internet für alle”. Dabei geht es nicht nur um die reine Zurverfügungstellung von immer neuer Technik und Verträgen, denn die digitalen Angebote selbst sind nicht immer leicht zu bedienen. Für viele Menschen ist die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben deshalb erschwert – oder schlichtweg unmöglich. Themen wie Medienkompetenz, Bedienung und Handhabung der Technik und die Sensibilisierung für die eigene Rolle machen fit fürs Internet und somit fit fürs selbständige Leben. Neben den immerwährenden Herausforderungen um mehr Bandbreite, Datensensibilität und Nachhaltigkeit “stehen die Menschen bei der Lebenshilfe immer an erster Stelle”, so Geschäftsführer Dennis Kummarnitzky.

Mittendrin statt nur dabei

Trotz aller aufkeimenden Widrigkeiten des Weltgeschehens hofft die Lebenshilfe-Familie heuer wieder einen Frühling zu erleben, der diesen Namen auch verdient hat. Von Frühförderung bis zum Wohnheim, vom jungen Menschen bis zum Senior, von der kollegialen Arbeit bis zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten: Das Leben, die Freude und damit die Sicht- und Spürbarkeit unseres gemeinsamen Bestrebens darf seit 2022 einen Aufschwung erfahren. Stellvertretender Vorstandsvorsitzender Jürgen Six freute sich, dass durch die vielen öffentlichen Ereignisse – von der Special Olympics Teilnahme bis zu den Aktionen auf den Marktplätzen der Region – wieder “mehr Inklusion, Begegnung und Austausch” möglich war und ist. Denn eine transparente Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur im Leitbild des Sozialunternehmens verankert: Dank mehrwöchiger Veranstaltungen wie der Vernissage um von Kinderhand bemalter Kunstpferde im Nürnberger Heimatministerium und zuletzt im Laufer Rathaus und Projekten wie der inklusiven Medienwirkstatt in Lauf-Schönberg (www.paletti.tv) sind Menschen mit Behinderung mittendrin statt nur dabei.

 

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