Fünf Wochen und 1000 neue Eindrücke

Fünf Wochen und 1000 neue Eindrücke

Praktikant Marco Meier mit FED-Betreuerin Manuela Full-Gerlich und Nachwuchs-"Räuberin".

 

Praktikum ganz inklusiv

Die Offenen Hilfen unterstützen durch ihre Arbeit betreuende und pflegende Angehörige sowie Geschwister von aufwachsenden Menschen mit Behinderung und damit genau die Menschen, die eine extreme Last und große Bürden innerhalb unserer Gesellschaft zu tragen haben. Betreuerin Manuela Full-Gerlich ist sich dieser immensen Verantwortung innerhalb der Lebenshilfe sehr wohl bewusst – Ihrem Praktikanten Marco Meier war vor seinem Praktikumsantritt im Frühjahr 2022 wiederum nicht klar, wie schnell er dieser Rolle gerecht werden kann.

Marco, Jahrgang 1988, arbeitet an seiner Studienarbeit zum Thema "Erziehungs- und Bildungswissenschaften" und war innerhalb seiner 300 Praktikumsstunden auch genau da vor Ort, wo Inklusion sprichwörtlich zu Hause ist. Mit den "Kunterbunten Wirbelwinden" Annika, Katrin, Uwe, Feenja, Jasmin, Davina, Joshua, Sophie und Eila war Marco unter anderem beim Einstudieren eines "regenbogenfarbenen" Tanzes dabei und später Kapitän der Räubergruppe der Geschwisterkinder im Team rund um Einrichtungsleiterin Regina Fritsch.

Zusammen mit Frau Fritsch unterstütze er den Familienentlastenden Dienst und die Offenen Behindertenarbeit, die seit 1989 individuelle Entlastungsangebote, gemeinsame Wochenenden und Freizeiten anbietet. Damit war er auch Teil von beeindruckenden 60 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb der Lebenshilfe, durch die dieses wichtige Angebot überhaupt erst gestemmt werden kann. Das ging innerhalb seines fünfwöchigen Praktikums los mit Action beim Bowlen in Burgthanner Rodeo Drive, einem gemeinsamen Picknick am Birkensee und Welpenstunden mit der Entdeckergruppe beim Hundesportverein Diepersdorf.

Immer die Gruppe im Blick

Marco Meier aber hatte dabei stets schnell alle Schützlinge dank seiner ausgiebigen Vorbereitungen "im Blick", kannte alle Namen, alle Daten und Fakten und unterstützte damit hervorragend die sozialpädagogisch ausgebildeten Begleiter bei Treffen vor Ort in Lauf/Schönberg sowie bei gemeinsamen Ausflügen mit den Kleinbussen der Lebenshilfe. "Jeder Tag war ein echtes Highlight", meint Marco, der besonders die vielen freudigen Aktionen in Kooperation mit dem Hospizverein Nürnberg und dem Klabautermann e. V. hervorhob.

Vom gemeinsamen Austausch, Diskussionen und Get-together mit den Eltern, übers Treffen am Lagerfeuer bis hin zu Fachdiskussionen konnte Herr Meier vom ersten Tag seines Engagement an bei den Offenen Hilfen voll durchstarten. Kommunikation, Inhalte und stets Ansprechpartner sein für Planung und Abläufe – das war dabei auch Anspruch seines ambitionierten Studiums, dass den 34-Jährigen bis 2024 zum Bachelor an der Universität Marburg und anschließend zum weiterführenden Studium nach Oxford führen soll.

Mission accomplished

Wir waren von Marcos Engagement, Einfühlsamkeit und Pflichtbewusstsein überaus beeindruckt! Da fiel es gar nicht auf, dass Marco das alles in so kurzer Zeit und in völliger Dunkelheit stemmte. Marco Meier ist von Geburt an blind und im Folgenden beschreibt er selbst, wie er seine Zeit bei uns empfand ...


Bericht von Marco Meier:

„FED with all the sences“
Blinder Student der Erziehungs- und Bildungswissenschaft absolviert Praktikum im FED

In wieweit ist es überhaupt möglich, trotz Blindheit oder Sehbehinderung im Familienentlastenden Dienst bei der Lebenshilfe Nürnberger Land zu arbeiten? Und wenn ja, welche technischen und organisatorischen Herausforderungen gilt es zu bewältigen? Marco Meier (34 Jahre alt) befindet sich auf der Zielgerade seines fünfwöchigen Praktikums im FED und berichtet über seine Erfahrungen.

Konzentriert sitzt er vor seinem Laptop und lauscht der künstlichen Stimme seiner computergestützten Sprachausgabe. Seine Finger tasten über ein rechteckiges Metallgehäuse unterhalb seiner Laptop-Tastatur. Auf dem keksschachtelförmigen Gerät erheben und senken sich eingebaute Metallstifte und bilden so jeweils einen großen Bruchteil einer geschriebenen Textzeile in Brailleschrift ab. Wenn man es genau nimmt – zwei Drittel. Mithilfe des Vorwärtsknopfs kann er das restliche Drittel der Textzeile mit den Fingern ertasten und sich so zum Beispiel Briefe, Bücher, E-Mails oder Websites mit den Fingern sowie mit den Ohren erschließen. Ebenso lassen sich damit auch Excel-Dokumente und im bestimmten Umfang auch PowerPoint-Folien bearbeiten.

In seinem Praktikum zeigt Herr Meier wie intuitiv die Arbeit mit seinen blindentechnischen Hilfsmitteln aussieht.

„Sprachausgabe und Braillezeile eröffnen mir das Tor zur Welt“, statuiert Meier, „soweit ich das auf den ersten Blick beurteilen kann, sind die meisten elektronischen Dokumente im FED barrierearm zugänglich. Ich konnte bereits am ersten Tag meines Praktikums vollen Einsatz leisten und im Rahmen meiner technischen und persönlichen Möglichkeiten mit anpacken.“

Das Aufgabengebiet im FED beschreibt Herr Meier als „sehr ausgewogen und abwechslungsreich“. So unterstützt er das Team bei der Vorbereitung und Planung von Gruppenveranstaltungen, bei der Reservierung von Lokalitäten sowie bei der pädagogischen Durchführung und Nachbereitung von Betreuungseinsätzen.

„Vor meinem Studium habe ich eine vollschulische Ausbildung zum Staatlich geprüften Internationalen Touristik-Assistenten absolviert“, erklärte Meier auf die Frage nach seinem bisherigen Werdegang, „ich hätte mir nie träumen lassen, dass Sozialpädagogik und Eventmanagement so viele Gemeinsamkeiten haben.

Freilich ist es wichtig, sich während eines Events oder eines Betreuungseinsatzes mit den anderen Betreuer*innen hinsichtlich der Aufgabenverteilung abzusprechen. Üblicherweise finden die Angebote an unterschiedlichen Orten statt. Marco Meier kann sich zwar grundsätzlich mit seinem Blindenstock gut orientieren und die Wege auch außerhalb seiner Wohnung selbständig zurücklegen. Gleichzeitig erfordert ein häufiger Ortswechsel eben auch Flexibilität.

„Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass ich während der Betreuung meinen Fokus auf Gespräch und Inhalt der Veranstaltung konzentriere“, führt Meier hinsichtlich seiner konkreten Zuständigkeit während eines Einsatzes aus, „Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit mit den Betreuten zu kommunizieren sind wichtige Soft Skills in der täglichen Arbeit. Als Herausforderung sehe ich die Wahrung des Überblicks über das gesamte Geschehen innerhalb der Gruppe. Ich denke, je länger man als Betreuer arbeitet, um so selbstsicherer geht man damit um. Gleichzeitig gibt es Situationen, die ich wegen fehlendem Sehvermögen nicht ausreichend einordnen könnte, zum Beispiel, wenn ich mich mit einer größeren Gruppe in Räumlichkeiten mit vielen Menschen befinde (etwa im Stadion oder in der Disco. Dann ist es wichtig, dass ich mich gut mit meinen sehenden Kolleg*innen abspreche und mögliche Herausforderungen kommuniziere. Diese Fähigkeit lässt sich ähnlich wie die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit weiter ausbauen.“

Dass Herr Meier ganz unabhängig von dem Besuch einer regulären Discoveranstaltung gerne tanzt, konnte er in der FED-Tanzgruppe „Kunterbunte Wirbelwinde“ unter Beweis stellen. Neben dem eigentlichen „Mittanzen“ hat er gemeinsam mit Manuela Full-Gerlich eine neue Choreographie für die Gruppe erarbeitet.

„Tanzen begleitet mich eigentlich schon mein ganzes Leben lang“, entgegnet er auf die Frage, wie er eigentlich zu diesem Hobby gefunden habe, „schon im Kindergarten und in der Schule wurde viel mit uns getanzt. Seit meinem 16. Lebensjahr habe ich standard- und latein-amerikanische Tänze praktiziert und neuen tanzbegeisterten Menschen die ersten Schritte gezeigt. In der Corona-Pandemie haben öffentliche Tanzveranstaltungen nicht mehr stattgefunden. So bin ich überhaupt erst auf den FED aufmerksam geworden und habe schon vor meinem Praktikum bei den Kunterbunten Wirbelwinden mitgewirkt.“

Herr Meier hat auch schon Pläne nach dem Studium.

„Ich könnte mir gut vorstellen den Weg in die erziehungswissenschaftliche Forschung einzuschlagen“, erläutert er zu seinen Wünschen für die Zukunft, „wenn ich dann auch noch Forschung mit Tanzen kombinieren könnte, wäre mein idealer Traumjob gefunden. Neulich habe ich auf Toggo Radio von einer Grundschule gehört, in der die Schüler*innen in den Schulpausen eine Disco besuchen können. Man habe bereits erforscht, dass dies die schulischen Leistungen der Schüler*innen deutlich verbessert habe. Pausendiscos könnten zukünftig auch im Arbeitsleben eine wichtige Rolle spielen. Mich würde beispielsweise interessieren, ob regelmäßiges Tanzen auch für Jura-Studierende in deren Examensvorbereitung zu einer wesentlichen Leistungsverbesserung beitragen würde. Darüber hinaus könnte man im rahmen der akustischen Theater- und Filmbeschreibung eben auch Tanz-Choreographien verbalisieren. Die Jugendserie „The Dance Academy“ ist nach heutigem Stand für blinde Zuhörer*innen nicht zugänglich.“

Trotz der vielen Pläne könnte der weitere Berufsweg herausfordernd werden.

„Als Student aus einem nicht-akademischen Umfeld stoße ich im Universitätsalltag auf viele informelle Barrieren“, erklärt Meier, „schon die Wahl des richtigen Studiengangs war für mich eine Herausforderung gewesen. Nicht jeder, der im ländlichen Raum von Mittelfranken aufwächst, strebt ein Universitätsstudium an. Indes wissen eben auch viele Menschen nicht über die mannigfaltigen Karrieremöglichkeiten einer erziehungswissenschaftlichen Laufbahn Bescheid. Diese Ausgangssituation war für mich mitentscheidend gewesen für die Bewerbung um ein mögliches Stipendium bei einem der großen Begabtenförderungswerke.“

Auch für die Mitarbeiter*innen des FED war Marco Meiers‘ Praktikum eine besondere Erfahrung.

„Zitat FED“

Abschließend bedankt sich Herr Meier bei allen FED-Mitarbeiter*innen für das angenehme und vielseitige Praktikum.

„Es ist für mich eine große Freude, hier bei euch im FED mein studienbegleitendes Pflichtpraktikum absolvieren zu dürfen. Im wahrsten Sinne des Wortes erlebe ich mein Praktikum mit allen Sinnen.“

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