Peter ist seit wenigen Wochen in der Schule. Der anfänglichen Einschulungseuphorie ist dem Schul-Alltag gewichen. Inzwischen ruft die Schule einmal in der Woche Zuhause an, weil Peter im Pausenhof immer wieder Mitschüler provoziert. Peter ist kognitiv fit, ist wissbegierig. Doch bereits in der Kindertagesstätte fiel Peter immer wieder durch sein sozial-oppositionell-aggressives Verhalten auf. Wegen seiner Anpassungsschwierigkeiten, insbesondere in der Gruppe, besuchte der Sechsjährige vor seiner Einschulung die Frühfördertherapie. Peter, der noch Geschwister hat, tut sich schwer mit neuen Situationen. Mit dem Team der Frühförderung wurde für die Kita-Erzieher ein Risikofragebogen für Peters Schulerfolg entwickelt. Der Übergang von der Kita zur Schule endete für Peter zu abrupt. Jetzt forderten seine getrennt lebenden Eltern den Frühförder-Schulstarthelfer an, mit ersten Erfolgen. Peters Eltern, wie auch die Schule, setzen nun viel Hoffnung in den neuen Schulstarthelfer-Service der Frühförderung der Lebenshilfe Nürnberger Land.
Ein Interview über das neue Angebot des Schulstarthelfers mit Sozialpädagoge Norbert Hanke, Leiter des Fachbereichs Frühförderung und Philip Minkenberg. Der Heilpädagoge unterstützt seit einem Jahr als Schulstarthelfer das interdisziplinäre Team der Frühförderung.
Der Schulstarthelfer ist so etwas wie ein persönlicher Coach für Kinder als auch für Eltern.
Nicht jedes Kind tut sich mit dem neuen Lebensabschnitt, dem Schulstart, leicht. Aus unserer langjährigen Erfahrung in der Frühförderung wissen wir, dass gerade Buben und Mädchen mit Aufmerksamkeitsdefiziten (ADHS), ebenso sehr schüchterne Kinder sowie Kinder mit Entwicklungsverzögerung mehr Unterstützung bei neuen Aufgaben brauchen.
Noch während das Kind in der Kita ist, entsteht im Normalfall der Erstkontakt zwischen Familie, Kita und dem Schulstarthelfer unseres Frühförderteams. Philip Minkenberg, er ist Heilpädagoge, unterstützt unser Team seit einem Jahr als Schulstarthelfer. Das ist weit mehr als das Tätigkeitsfeld eines Schulbegleiters.
Der Schulstarthelfer ist ein Coach, der inhaltlich hilft; er ist kein „Schultaschenträger“. Er zeigt Kindern und Eltern auf, wie sie beispielsweise das Lernen üben. Er zeigt Eltern, wie diese ihren „Linkshänder“ organisieren können. Darüber hinaus hält Philip Minkenberg, auf Wunsch der Familie, Kontakt zur Schule, zu Lehrern oder zur schulischen Hausaufgabenbetreuung.
Die Aufgabe als „Schulcoach‘“ fordert von unserem Mitarbeiter viel Engagement und Einfühlungsvermögen. Gleichzeitig profitiert unser interdisziplinäres Frühförderteam von den Erfahrungen unseres Schulstarthelfers; Erkenntnisse können auf andere Kinder übertragen werden. Philip Minkenberg wiederum kann sich mit den Kollegen der Frühförderung, die das Kind zuvor in der Frühfördertherapie betreut haben, direkt abstimmen. Das kommt wiederum dem Kind zu Gute.
Jedes Kind, jede familiäre Situation ist anders. Die Netzwerkarbeit die ich leiste bleibt jedoch vom Prinzip her gleich. Was mir – und letztendlich dem Kind sehr hilft ist, dass ich entweder das Kind und sein Umfeld bereits selbst in der Frühförderung kennengelernt habe oder etwaige Defizite des Kindes aus Gesprächen mit Kollegen kenne. So kann ich mich sehr schnell auf die jeweilige Situation einstellen und jedes Kind individuell, ganz gezielt stärken. – Der enge Schulterschluss mit meinen Kollegen ermöglicht mir ein passgenaues Mini-Inklusionsnetzwerk für Kind, Familie und Schule.
Wichtig ist zunächst eine Vertrauensbasis zum Kind und zur Familie aufzubauen. Zu sehen, wo besteht im konkreten Fall ein Hilfebedarf.
Ich übe beispielsweise mit dem Kind den Schulweg. Trainiere spielerisch eine Hausaufgabensituation. Wichtig ist, dass dies ohne Druck geschieht und dass das Kind und die Familie der neuen Situation „Schule“ positiv entgegen sehen.
Eltern berate ich, wie sie das Üben ihres Schulkinds strukturieren können, ihr Kind fördern können, ohne es zu überfordern. Ich zeige auf, dass sie sich nicht bei den Hausaufgaben selbst, wohl aber bei der Aufgabenaufteilung einbringen sollten. Das Kind damit unterstützen, indem sie kleine Lerneinheiten und Prioritäten schaffen sowie Pausen einplanen. Bei der häuslichen Beratung empfehle ich Eltern immer wieder, eine ruhige Übungszone für ihr Schulkind zu schaffen, das Kind somit nicht von den neuen Aufgaben abgelenkt wird und wo es sich wohlfühlt.
Auf Wunsch der Eltern nehme ich auch Kontakt zur Schule auf. Das hilft dem Kind, vor allem den Lehrern. Sie können sich auf die Defizite des Kindes einstellen und dem Schulanfänger konkrete Hilfestellung geben. Bisher haben wir von Seiten der Schule nur positive Rückmeldungen.
Seit einem Jahr gibt es den Service des Schulstarthelfers, der Ansprechpartner für Kind und Familie, Kita, Lehrer und Hort ist.
Bisher haben wir eine ordentliche Bilanz! Schulcoach Philip Minkenberg hat bisher rund einhundert Buben und Mädchen bei ihrem Schulstart begleitet. Unser Schulstarthelfer-Netzwerk kooperiert derzeit bereits mit dreißig Grund- und Förderschulen sowie fünfzig Kitas im Landkreis.
Im neuen Schuljahr gibt es (von übrigens 1430 Erstklässlern im Nürnberger Land) nicht nur fünfzig neue Anmeldung aus der Frühförderung. Inzwischen hat sich unser Service auch bei weiteren Kindertagesstätten und Schulen in der Region herumgesprochen, die gerne mit uns kooperieren möchten.
Die Erfahrungen mit allen Beteiligten sind durchwegs positiv. Rund siebzig Prozent der Kinder konnten durch unsere Schulstarthelfer-Unterstützung weiterhin die Regelschule besuchen. Oft löst sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten der "berühmte Knoten" von selbst.
Eine erfolgreicher Schulstart bzw. schulische Inklusion hängt sehr von der sozial-emotionalen Reife des Kindes hab. Nach einem Jahr „Schulstarthelfer-Service“ zeigt sich unseres Erachtens klar die Tendenz, dass der Schulerfolg weit weniger als bisher angenommen, nur von den kognitiven Kompetenzen des Kindes abhängt.
Dennoch zeichnet ein Schulkind Neugier und Lerneifer, seine Konzentrationsfähigkeit bzw. Ausdauerbereitschaft und seine Selbständigkeit bzw. Arbeitsorganisation aus. Das Kind muss imstande sein, sich schnell mit neuen Situationen zu synchronisieren.
Wir wissen, Frühförderkinder sind oft Spätzünder, die für neue Situationen einfach Zeit, eine Eingewöhnungsphase, brauchen. Eine „Hauruck“-Methode wäre hier verkehrt. Und genau hier unterstützen wir mit unserer Kompetenz das Kind und sein Umfeld sanft; sind so etwas wie „Kinderflüsterer“.
Das Angebot „Schulstarthelfer“ ist kostenfrei.
Unser Service ist für das Kind, ebenso die Beratungsleistung für Eltern, zu einhundert Prozent kostenfrei. Im vergangen Jahr wurden rund einhundert Kinder durch den Schulstarthelfer unterstützt. Unser Service wird derzeit durch die Aktion Mensch gefördert. Zudem gab es eine großzügige Anschubspende der Firma Personal Lorenz aus Nürnberg.
Die Spende sowie dreijährige Förderung durch die Aktion Mensch hat uns ermöglicht, die Weichen unseres Frühförderangebots inklusiv für die Zukunft zu stellen.
Die Erfolge des ersten Schulstart-Service-Jahres, die Rückmeldungen aller Beteiligten, zeigen ein klares Ja zur Fortsetzung. Doch oft diktiert der Sparzwang das Machbare.
Schon jetzt werden Finanzmittel geprüft, ob das Angebot – aus meiner Sicht eine Förderung für Chancengleichheit und Inklusion, fortgeführt und ggfs. sogar personell erweitert werden kann.
Wir entwickeln unser Konzept Schulstarhelfer stetig weiter, stehen im Austausch mit vielen Stellen. Inzwischen haben wir beispielsweise Kontakte zum Bezirk Mittelfranken, zu Hochschulen, natürlich zum Staatlichen Schulamt mit der Lernwirkstatt Inklusion aufgenommen, haben sehr intensive Gespräche mit Irmgard Badura, der Behindertenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, geführt.
Die hohe Erfolgsquote spricht aus unserer Sicht für einen Ausbau sowie eine Fortsetzung des Schulstarthelfers. Das Angebot Frühförderung, ergänzt durch unseren neuen Service Schulstarthelfer, sind unserer Sicht gut angelegte Investitionen und Basis für eine gelungene Inklusion.
Wir, das heißt unser interdisziplinäres Frühförderteam, sehen uns als Weichensteller für einen guten Start ins Leben. Wir setzen uns dafür ein, dass das Kind in seine persönliche Zukunftsplanung einbezogen wird.
Wir wollen gemeinsam mit Kind und Eltern eine geeignete Schulform zu finden. Inklusion bedeutet nicht auf Biegen und Brechen Regelschule. Wichtig ist, dass sich das Kind wohlfühlt. Inklusion heißt für uns vor allem, Schulabbrüche zu vermeiden. Oft hilft es auch, das Kind ein Jahr zurückzustellen.
Interview: Sabine Schreier
Das Interview erscheint in der Ausgabe FIDUZ, Nr.38
Infoblatt der medizinischen Abteilung der Arbeitssstelle Frühförderung Bayern.
Norbert Hanke, Dipl.-SozPäd
Fachbereichsleitung
Interdisziplinäre Frühförderstelle
der Lebenshilfe im Nürnberger Land e.V.
Hersbrucker Straße 17, 91207 Lauf a. d. Peg.
Telefon 09123 97 77 – 13
Norbert.hanke(at)lh-nla.de
Schulstarthelfer
Philip Minkenberg, Heilpädagoge
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Telefon 09123 97 77 – 0
philip.minkenberg(at)lh-nla.de